Grünes Demokratieverständnis

Grünes Demokratieverständnis

Seit ihrer Gründung sehen sich die Grünen als Vorreiter für mehr Bürgerbeteiligung und mehr direkte Demokratie. Auch im Wahlprogramm zur letzten Bundestagswahl im Jahr 2009 forderten sie mehr Demokratie, Transparenz und Beteiligungsmöglichkeiten, sowie eine Stärkung der Regionen und Kommunen (S. 161 ff.). All dies sind hehre Forderungen, die aber auch bei den Grünen oftmals zu reinen Papiertigern verkommen, vor allem wenn es darum geht, eigene Initiativen und Ideologien durchzudrücken. Folgt das Wahlvolk in direkter Abstimmung nicht den Vorschlägen der Grünen, so können diese darauf durchaus verschnupft reagieren und verfallen in typische Muster. Der Wähler habe das Anliegen nicht verstanden oder die siegreichen Gegner hätten mehr Mittel gehabt oder bessere finanzielle Möglichkeiten.

Nachdem die Einführung der Primarschule in Hamburg am 18. Juli 2010 durch einen Volksentscheid abgelehnt wurde und damit Teile der beschlossenen Schulreform vom Souverän geändert wurden, ließen die damals im ersten schwarz-grünen Bündnis Regierenden beleidigt verlauten, die siegreichen Gegner von der Initiative „Wir-wollen-lernen“ hätten über mehr finanzielle Möglichkeiten verfügt, weil sie größtenteils aus der gehobenen Mittelschicht und dem Bildungsbürgertum stammten. Dabei vergaßen sie, dass der Großteil der in der Hamburger Bürgerschaft vertretenen Parteien die Reform befürwortete und somit eigentlich stark meinungsbildend agieren konnte. Es war die alte Mär vom Bürger, der die Politik einfach nicht verstanden habe. Hätte er sie verstanden, wäre er logischerweise nicht dagegen gewesen.

Ein Jahr später, am 27. November 2011 verloren die Grünen, die gerade als die die Regierung stellende Partei in den Stuttgarter Landtag eingezogen waren, die Volksabstimmung zu Stuttgart 21. Die Monate zuvor hatten sie und die anderen Gegner des Bauprojekts noch die Straßen beherrscht und den Eindruck vermittelt, dass Volk wäre kurz vor der Revolution und würde von der Politik nicht ernst genommen. Viele Kommentatoren saßen dieser Fehleinschätzung auf und stilisierten die Protestler zu Vorkämpfern für mehr Demokratie. Bei der Volksabstimmung erlebten die Grünen und die anderen Gegner dann aber eine krachende Niederlage. Sie verloren nicht einmal knapp, sondern mit 58,9 zu 41,1 Prozent der abgegebenen Stimmen. Sogar in Stuttgart selbst gewannen die Befürworter des Projekts. Sogleich begannen die Unterlegenen wieder von bösen Einflüssen zu fabulieren. Die Abstimmung hätte zu sehr auf die Finanzierung und die drohenden Strafzahlungen abgestellt. Dabei geht es immer und vor allem um Finanzierung.

Eines der Lieblingsthemen der Grünen bleibt natürlich weiterhin der Umweltschutz, vor allem, nachdem ihnen das Thema Atomkraft etwas abhanden gekommen ist. In Nordrhein-Westfalen kämpfen sie deshalb an vorderster Front für die Einrichtung eines Nationalparks im Teutoburger Wald, unterstützt vom örtlichen CDU-Landrat des Kreises Lippe, Friedel Heuwinkel, der unbedingt Hermann auf seinem Denkmal vertreten will. Obwohl der Nationalpark Teutoburger Wald-Egge-Senne vor Ort auf große Ablehnung stößt, halten die Grünen vor Ort und in Düsseldorf unbeirrt daran fest. Kein Wort mehr von Bürgerbeiteilung, transparenter Politik und davon, regionale Sachen regional zu entscheiden. Zusammen mit der SPD, mit der man wahrscheinlich die nächste Landesregierung in NRW stellen wird, will man den Nationalpark auch gegen örtlichen Widerstand durchdrücken. Sang man in Stuttgart immer das Hohe Lied vom Volkswillen und vor bürgerferner Politik von CDU und Co., so verhält man sich bei eigenen Steckenpferden keinen Deut besser, als man es dem politischen Gegner vorwirft. Wurf man den S21-Befürwortern in Stuttgart geschönte Zahlen vor, so verfährt man hier nicht anders und rechnet sich den Nationalpark finanziell schön, obwohl auch das Prestigeprojekt Nationalpark Eifel nicht ohne Zuschüsse aus Steuermitteln lebensfähig ist.

Man könnte den Grünen ihr Engagement für mehr direkte Demokratie hoch anrechnen, denn sie halten unbeirrt daran fest, obwohl sie bei den beiden großen Abstimmungen der letzten Jahre krachende Niederlagen einstecken mussten. Aber die Grünen sind keine guten Verlierer. Sie wollen ja nur das Beste für das Allgemeinwohl, und weil das die Mehrheit nicht einsehen will, schmollen sie jedes Mal und suchen Ausreden für ihre Niederlagen. Gleichzeitig verhalten sie sich bei von ihnen geforderten Projekten nicht besser als die von ihnen geschmähten politischen Gegner. Zur Rettung der Welt ist Demokratie wohl Auslegungssache und wird manchmal gerne durch den Straßenkampf ersetzt, wenn man damit den Eindruck erwecken kann, man sei die wahre Mehrheit..