Das institutionalisierte Leben

Das institutionalisierte Leben

Kommen wir nicht mehr mit Freiheit klar? Immer mehr alltägliche Abläufe und Tätigkeiten, egal ob sie der Freizeit oder Arbeit dienen, alleine oder zusammen gemacht werden, werden von uns in Institutionen gepresst und ritualisiert. Für alles brauchen wir auf einmal Experten und Organisationsformen, die uns in ein selbst gewähltes Korsett pressen, das uns Handlungsabläufe und Grenzen vorgibt. Die Freiheit reicht dann nur noch so weit, dass passende Korsett auszuwählen. Ein paar Beispiele.

Feiern

Einfach Sitzen und Saufen – das ist nicht mehr möglich. Auch die Ausschweifung braucht einen institutionellen Rahmen. Wo kämen wir denn da hin, wenn es dabei keine Regeln geben würde? Ein Mal im Monat beim Kegeln gepflegt betrinken, dass ist des Lebens höchste Kunst. Garniert mit allerlei Regeln die zu Geldstrafen und somit weiterem Alkohol führen, so eingepfercht kann man sich gehen lassen. So schlägt man versteckt in dämmrigen Kammern über die Stränge, sich immer bewusst, dass das Leben schon wieder seinen Gang gehen wird. Man könnte auch zum Lachen in den Keller gehen, aber dort gibt es nicht so schöne Vorschriften. Und alles fein vom Vorstand und Schriftführer überwacht, auf das bloß niemand einfach nur sitzt und säuft. Ja, Leute treffen, in angepasstem Rahmen, nur nicht ausbrechen. Einer Explosion in einem Bunker gleich wackeln mal kurz die Wände und das war’s. So verbannen wir’s aus der Öffentlichkeit und draußen bleibt’s schön ruhig.
Und der Staat? Den freut’s, muss er sich doch weniger kümmern, seine Erziehung hat gewirkt, vorwärts ins neue Biedermeier.

Bewegung

2009 waren 6,3 Millionen Menschen in Deutschland Mitglied in einem Fitnessstudio, bald dürften die Zahlen die der Mitglieder im DFB (6,7 Millionen) übersteigen. Aber nichts desto trotz steigt gleichzeitig angeblich die Zahl der Übergewichtigen und motorisch unterentwickelten Menschen. Das größte Paradoxon sind wahrscheinlich die Leute, die mit Privatwagen oder ÖPNV ins Fitnessstudio fahren, um dort dann auf einem Laufband zu traben. Ja, natürlich, man kann sich nicht all die tollen Gerätschaften leisten, die einem dort zur Verfügung stehen, aber braucht man die überhaupt? Wir spezialisieren, institutionalisieren und ritualisieren immer mehr. Wir gehen nicht mehr im Park laufen, da könnte man uns ja sehen und es ist kein Geld dafür nötig. Ein Fitnessabo zwingt uns quasi zur Nutzung, wollen wir das Geld nicht zum Fenster hinaus geschmissen haben. Ich glaube, der wahre Grund für den Boom sind nicht die ausgefeilten Geräte, sondern der Vorteil, eine Handlung ritualisieren zu können – und dafür auch noch Geld ausgeben zu dürfen. Das bisschen Fitness, das sich die Leute antrainieren, könnten sie sich auch auf einer heimischen Iso-Matte und beim Waldlauf holen, aber da gibt es ja keine Regeln. Die Institution Fitnessstudio als Anpeitscher, Bezahlung macht’s möglich.

Selbstkritik/-reflexion

Neben den Fitnessstudios ist die Supervision ein weiterer moderner Boom-Bereich, der bisher alltägliche Abläufe institutionalisiert und vorgeblich professionalisiert. Besprach man früher seine Probleme mit seinen Mitmenschen, oder machte sie mit sich selbst aus, was es ja auch geben soll, wird man heute unter Anleitung dazu hingeführt Probleme zu benennen und zu reflektieren. Es gibt Menschen, die Hilfe von Außen bedürfen und fordern, aber es gibt genauso gut die Gegenseite, die nicht alles ständig ausbreiten will, die lieber alleine Selbstkritik und Eigenreflexion übt. Die Institutionalisierung führt dazu, dass alltägliche Nickeligkeiten problematisiert werden, wodurch sie sogleich wieder durch Supervision gelöst werden müssen. Vor allem führt es aber dazu, den eigenen Antrieb zur Selbstkritik aufzugeben, da dieser nun von der Institution übernommen wird, die alles weitere regelt und in ritualisierte Abläufe mit klarer Rollenverteilung presst. Das Leben ist nicht problemfrei, die Fähigkeit, mit diesen umgehen zu können, an externe Institutionen zu delegieren, führt am Ende zu einer Degenerierung der eigenen Kompetenzen.

Als Institution (lat. institutio, „Einrichtung, Erziehung, Anleitung“) wird ein mit Handlungsrechten, Handlungspflichten oder normativer Geltung ausgestattetes Regelsystem bezeichnet, das soziales Verhalten und Handeln von Individuen, Gruppen und Gemeinschaften in einer Weise konditioniert, dass es für andere Interaktionsteilnehmer vorhersehbar oder zumindest erwartbar ist. (Quelle: Wikipedia)

Institutionen sind von Menschen geschaffen und nicht automatisch Teufelswerk. Sie dienen der Vereinfachung, aber Vereinfachung bedeutet auch immer den Verlust von eigenen Handlungsoptionen. Indem wir die Komplexität des Lebens in Institutionen übertragen und uns diesen anschließen und unterwerfen verlieren wir ein Stück Freiheit. Es gibt Dinge, deren Delegation einen gemeinschaftlichen Gewinn verspricht, aber gerade die alltäglichen Dinge zu institutionalisieren bedeutet einen übermäßigen Verlust von Freiheit..