Staat, Regierung, Volk – separat kritikwürdig?

Staat, Regierung, Volk – separat kritikwürdig?

Bei der Kritik anderer Staaten wird oftmals darauf verwiesen, dass sich die Kritik ja nicht gegen die dort lebenden Menschen, mithin also das Volk, richte, sondern ausschließlich gegen den Staat oder die Regierung. Aber, kann man lediglich eine Regierung oder einen Staat, also quasi nur die Metaebene, kritisieren oder womöglich auch beschimpfen, ohne das jeweilige Volk damit zu meinen? Zuletzt nutzte Günter Grass diese Verteidigung, als man ihm im Zuge seines israelkritischen Gedichts „Was gesagt werden muss“ Antisemitismus vorwarf. Kann man Staat, Regierung und Volk also nach Belieben separat betrachten und kritisieren?

In einer Diktatur ist es sicherlich richtig, zwischen Staat, also dem System, Regierung/Regime und Volk/Bürgern zu unterscheiden, da davon auszugehen ist, dass in einer repressiven Diktatur gerade nicht alle mit dem Verhalten der Regierung einverstanden sind, da es sonst keiner Repressionsmittel bedürfen würde. Aber auch eine Diktatur kann nicht in totaler Gegnerschaft zu ihrem Volk überleben, womit es auch immer einen Teil in der Bevölkerung gibt, der sie unterstützt und von ihr profitiert. Kritisiert man also einen von einer Diktatur regierten Staat wie den Iran, könnte man sehr wohl zwischen Regime und Volk unterscheiden, sollte aber auch dabei bedenken, dass es im Volk Teile geben wird, die genau diese Politik befürworten. So gibt es im Iran zwar eine streng unterdrückte Oppositionsbewegung, aber ebenso große Bevölkerungsgruppen, die das Regime unterstützen. Ebenso kann es, wie im Fall Ägypten, viele verschiedene Strömungen geben, die nicht unbedingt gemäßigter sind, als die bisher staatstragende Diktatorenclique und deren Unterstützer. Da in Diktaturen die öffentliche Meinung kontrolliert und Abweichungen unterdrückt werden, ist es nur schwer ersichtlich, welches Meinungsspektrum wirklich vorherrscht, was die Differenzierung zwischen System, Regime und Bürgern erschwert.

Ganz anders sieht die Sache bei Demokratien aus. Hier ist das Volk, also die Gesamtheit der Staatsbürger, der Souverän der die Regierung und das Parlament wählt. Der Souverän ist mit der Wahl nicht aus seiner Verantwortung entlassen, er ist somit indirekt weiterhin für das Handeln der Regierung und für die Verfasstheit seines Staates verantwortlich. Durch eine freie Presse ist außerdem das gesamte Meinungsspektrum erfassbar und kann sich in Wahlen und Demonstrationen zeigen. Einen demokratischen Staat von außen zu kritisieren und dabei seine Bürger von der Kritik auszunehmen ist wesentlich schwieriger, wenn nicht gar unmöglich, als eine Diktatur von außen zu kritisieren.

Wenn nun also bspw. Grass und andere behaupten, ihre Israelkritik richtige sich ja lediglich gegen die Regierung und ihre Politik, aber keinesfalls gegen das israelische Volk und erst recht nicht gegen die Juden, dann ist das einfach Schwachsinn. Wer die Politik einer Demokratie kritisiert, der kritisiert auf immer den Souverän und der ist in einer Demokratie in letztes Konsequenz das Volk. Es kann nicht nach Belieben von der Regierung getrennt werden. Abhilfe versucht man sich dann durch Verschwörungstheorien zu schaffen, indem man der Demokratie defizite vorwirft und die Regierung als nicht ausreichend legitimiert ansieht, wie bei den USA und George W. Bush, bei denen immer von Wahlbetrug gemunkelt wurde. Wobei solche Unterstellungen auch wieder als Beleidigung gegen fremde Staaten aufgefasst werden können.

Da zu differenzieren, wo es nichts zu differenzieren gibt, um sich nicht irgendwelcher Vorwürfe auszusetzen, ist pure Feigheit. Die Subjekte, die man kritisiert, hinterrücks wieder zu umarmen, zeugt von verlogener, moralinsaurer Freundschaft mit erhobenem Zeigefinger..